Anstatt in einen Wettbewerb um möglichst schrille Kritik zu treten, sollten Bund, Länder und Kommunen sich überlegen, Fluchtursachen zu bekämpfen.
Die Kommunen fühlen sich vom Land im Stich gelassen, das Land vom Bund, eine Ebene übt Kritik an der nächsten, und der Bund beschwichtigt, bügelt ab. Das ist ein immer wiederkehrendes Ritual, wenn die föderalen Strukturen unter wachsenden Belastungen leiden. Jetzt sind es erneut steigende Zahlen von Geflüchteten, die dieses Ritual befeuern. Im vergangenen Jahr haben rund 218.000 Menschen einen Asyl-Erstaufnahmeantrag gestellt. Das ist noch weit entfernt von den Zahlen der Jahre 2015 und 2016. Jedoch kamen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zusätzlich rund eine Million Menschen nach Deutschland, die keinen Asylantrag stellen müssen.
All diese Geflüchteten unterzubringen und zu integrieren, ist tatsächlich eine gewaltige Herausforderung. Der Bund muss mehr Verantwortung übernehmen, das ist richtig. Es ist aber problematisch, wenn Notlagen derart alarmistisch verkündet werden, dass die Bevölkerung einmal mehr in Schrecken versetzt wird. Kaum sind die Ängste vor einem viel beschrienen Zusammenbruch der Wirtschaft durch die Corona-Pandemie oder vor flächendeckenden Stromausfällen abgeklungen, wird jetzt das nächste existenzielle Krisenszenario aufgefaltet und damit eine Abwehrreaktion gegen Geflüchtete provoziert.
Anstatt in einen Wettbewerb um möglichst schrille Kritik zu treten, sollten Bund, Länder und Kommunen sich vielleicht einmal überlegen, wie es möglich ist, Fluchtursachen effektiver zu bekämpfen. Menschen wollen nicht fliehen, sie müssen fliehen. Nicht von ungefähr kamen die meisten nicht-ukrainischen Geflüchteten im vergangenen Jahr aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und dem Irak. Es würde einen Bruchteil der Summen kosten, wenn auch deutlich intensivere und zielgerichtetere politischen Anstrengungen benötigen, diesen Menschen in ihren Heimatländern oder zumindest heimatnah Perspektiven zu verschaffen.
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