Am Niederrhein. Der Niederrhein war einst eine Hochburg des Handballs. Damals aber war es eine etwas andere Sportart – die nur draußen stattfand.
Die Handball-WM der Männer ist gerade ein paar Tage her und die Spieler sind bereits wieder für ihre Vereine im Einsatz. Da lässt man die spannenden Spiele in Polen und Schweden gerne noch einmal Revue passieren. Mit dem fünften Platz ist unserer Nationalmannschaft die Rückkehr in die Weltspitze gelungen. Eine Weltspitze, die eine deutsche Handball-Nationalmannschaft der Männer selbst einmal darstellte und das Maß aller Dinge war!
Es waren aber andere Zeiten – und fast eine andere Sportart! Handball spielte man mit elf Spielerinnen oder Spielern – und draußen! Auf dem Sportplatz! Sommer und Winter! Alle Weltmeisterschaften der Männer im Feldhandball wurden von einer deutschen Mannschaft gewonnen, nur als den Deutschen 1948 noch eine Teilnahme untersagt war, siegte Schweden. Wenn also das Wort des englischen Fußball-Nationalspielers Gary Lineker, dass elf Mann um den Ball kämpfen und am Ende immer die Deutschen gewinnen, seine Berechtigung hat, dann beim Feldhandball. Den Mr. Lineker wahrscheinlich gar nicht kennt, weil Handball in England so exotisch ist wie hierzulande Cricket.
Niederrhein – eine Hochburg des Feldhandballs
Aber nicht nur die Nationalmannschaft war erfolgreich, auch der Niederrhein war einmal eine Hochburg des Feldhandballs – insbesondere in der Nachkriegszeit. So zitierten die „Westdeutschen Sport-Nachrichten“ Stimmen aus anderen deutschen Handballregionen anlässlich des Gewinns der noch inoffiziellen Deutschen Meisterschaften der Männer, Frauen und männlichen A-Jugend von RSV Mülheim, Düsseldorf 04 und TuS Lintfort im Jahre 1947:
„Unerhört, dieser Westen. Handball ist sein Trumpf. Nirgendwo anders in deutschen Landen ist dieses Spiel volkstümlicher und vollendeter als an Rhein und Ruhr! Fahrt an den Rhein, wenn ihr Handballspielen lernen wollt!“ Und auch die Gründe dafür hatte das Blatt schon ausgemacht: „Was der Süden dem westdeutschen Raum fußballorganisatorisch voraushatte, war handballsportlich im Westen der Fall: allen anderen Zonen vorweg war der Handballwesten am ersten betriebsklar.“ Vielleicht war dies auch der Grund dafür, dass Duisburg drei Mal und das Niederrhein-Stadion in Oberhausen fünf Mal Austragungsort des Endspiels um die deutsche Handball-Meisterschaft der Männer war. Schon 1947 strömten dabei 35.000 Interessierte ins Stadion mit dem markanten Uhrenturm.
Deutsche Meisterschaftsspiele an Rhein und Ruhr
Eine nette Anekdote verbindet sich mit dem Finale am 20. Juni 1948, das der THW Kiel gegen den SV Waldhof Mannheim gewinnen konnte. Das Endspiel fand vor 18.000 Zuschauern an dem Sonntag statt, der als Termin für die Währungsreform und Umstellung auf die neue D-Mark auserkoren worden war. Als die Kieler ihren Sieg ausgiebig gefeiert hatten und am nächsten Tag zurückfahren wollten, mussten sie feststellen, dass ihr altes Geld seinen Wert verloren hatte. Für die Rückfahrt nach Kiel haben sie sich angeblich das Geld bei der Oberhausener Oberbürgermeisterin Luise Albertz leihen müssen.
Der Westen stellte jedoch nicht nur die Schauplätze für die Titelwettkämpfe, auch die Vereine aus dem Westen waren regelmäßige Teilnehmer bei den Endspielen. In den insgesamt 28 Endspielen um den Titel des Deutschen Meisters waren 25 Mal Vereine des Westdeutschen Handballverbands vertreten. Dabei hatte der Niederrhein beinahe ein Abonnement für die Teilnahme erworben. Allein der TuS Lintfort stand zwischen 1952 und 1961 fünf Mal im Endspiel und gewann 1959 und 1961 den Titel. Auch die Sportfreunde Hamborn gingen 1958 als Sieger vom Platz, während der TV Oppum in den sechziger Jahren zwei Mal Deutscher Meister wurde. Da Solingen auch zum Handballverband Niederrhein gehört, sollen die Endspielteilnahme bzw. der Sieg des BSV Solingen in den Jahren 1963 und 1965 nicht unerwähnt bleiben.
Vom Feld- zum Hallenhandball
Im Jahre 1967 wurde die zweigleisige Bundesliga mit einer Nord- und einer Südgruppe eingeführt, um die deutlich zurückgehenden Besucherzahlen bei den einzelnen Spielen aufzufangen. Ab 1970 umfassten die beiden Staffeln noch jeweils acht Plätze, von denen in der Nordgruppe fast alle von Westvereinen eingenommen wurden. Aber obwohl die Vereine Angermund, Hamborn, Oppum und Rheinhausen gerade mal einen Steinwurf – oder besser einen Handballwurf – voneinander entfernt lagen, gingen die Zuschauerzahlen stetig zurück.
Als dann noch Hallenhandball 1972 in das Olympische Programm aufgenommen worden war, verlor sich das Interesse am Spiel im Freien immer mehr. Daher beschloss der Deutsche Handballbund, die Meisterschaftsspiele um den Titel eines Deutschen Meisters im Feldhandball 1973 zu beenden. Seitdem ist Handball eine Hallensportart.
>>> Kleine Tore, große Sprünge
Das LVR-Niederrheinmuseum Wesel zeigt anlässlich der Handball-Europameisterschaft der Männer, die im kommenden Jahr in Deutschland stattfinden wird, ab November 2023 die Sonderausstellung „Kleine Tore, große Sprünge – Der Handballsport in Rheinland und Westfalen von 1917 bis heute“.
Das Museum sucht noch geeignete Erinnerungsstücke zur Geschichte des Feld- und des Hallenhandballs aus privater Hand, aber auch aus dem Vereins- und Verbandswesen. Wer etwas für die Ausstellung zur Verfügung stellen möchte, kann sich an Thomas Ohl wenden: 0281-33996-301 oder thomas.ohl@lvr.de
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