Corona und Sport

Bewegungsmangel: Kinder brauchen mehr Sportförderunterricht

| Lesedauer: 6 Minuten
Gähnenden Leere: Viele Kindern benötigen mehr Bewegung.

Gähnenden Leere: Viele Kindern benötigen mehr Bewegung.

Foto: Rolf Vennenbernd / picture alliance/dpa

An Rhein und Ruhr.  Mit Sportförderung könnten Kinder aus sozialschwachen Vierteln erreicht werden, so ein Experte. Studierende arbeiten oft als Vertretungslehrer.

Wie weit die Welten doch auseinanderklaffen können. Im Fernsehen werden die Olympischen Spiele gezeigt, die Sportlerinnen und Sportler messen sich miteinander, ringen um Bestleistungen. Und dann ein Blick vor die Haustür: Gesperrte Spielplätze, Distanzunterricht vor dem Computer, kein Angebot in Sportvereinen – so zumindest war das Bild noch vor einigen Wochen im Lockdown. Und nun steigen die Inzidenzzahlen wieder, junge Menschen stecken sich an, weil sie zum großen Teil nicht geimpft sind. Experten fürchten, dass der Bewegungsmangel zu einem eklatanten Problem werden wird – und das nicht nur durch die Corona-Pandemie.

Vor allem um die Kinder und Jugendlichen, die in sozialen Brennpunkten, womöglich in Hochhäusern ohne Garten leben, sorgt sich Prof. Dr. Ulf Gebken von der Sportfakultät der Uni Duisburg-Essen besonders. Denn es ist ausgerechnet die Klientel, die in der Regel aus kulturellen Gründen auch keine Bindung an einen Sportverein hat. Nur: Wie kann man die Kinder dazu bringen, sich zu bewegen?

Über 1000 Anträge für das Programm „Extra Zeit für Bewegung“

Ein Angebot, das es seit geraumer Zeit in verschiedenen Ruhrgebietsstädten eben genau für diese Zielgruppe gibt, ist der „Open Sunday“. Dabei haben an den Wochenenden Schulen ihre Hallen zur Verfügung gestellt, Sportstudentinnen und -studenten haben mit den Kindern Bewegungsspiele durchgeführt. Doch durch die Corona-Pandemie ist das Angebot kaum möglich gewesen.

Stattdessen gibt es jetzt die „Extra Zeit für Bewegung“, ein Programm des Landes. Insgesamt habe es in den ersten drei Wochen über 1000 Anträge gegeben, 500 sind an Rhein und Ruhr bereits bewilligt worden. So gibt es in Moers Kung Fu für jedermann, in Emmerich Box-Fitness und in Oberhausen Kanusport für Kinder.

Mehr Förderunterricht in den Schulen

Gut gemeint, findet Gebken. „Viel Geld wird zur Verfügung gestellt“, sagt er im Gespräch mit der NRZ. „Die Maßnahmen sind aber unkoordiniert.“ Stattdessen fordert er auf Dauer mehr Sportförderunterricht. Der sei in den vergangenen Jahren stiefmütterlich behandelt worden, oftmals finde aufgrund von Personalmangel kein Sportförderunterricht statt.

Überhaupt ist der Lehrermangel ein großes Problem. Gebken berichtet von Sportstudentinnen und -studenten, die schon in den ersten Semestern als Vertretungslehrerinnen und -lehrer an Schulen arbeiten. Für manch Studierenden soll eine solche nach Tarif bezahlte Stelle sogar der Anlass sein, sich für ein Sportstudium einzuschreiben, meint er.

An Zahlen kann man diese These nicht festmachen. Klar ist nur: Die Zahl der Sportstudierenden wächst seit Jahren. Begannen im Wintersemester 2011/12 in NRW noch 10.787 Erstsemester ein Sportstudium, waren es im letzten Wintersemester 13.264.

15 Stunden pro Woche an einer Gesamtschule

In der Tat sei es unter Studierenden bekannt, dass sie als Vertretungslehrer eingestellt werden, sagt Lehramtsstudent Jannik Winter. Auch er arbeitet als Vertretungslehrer an einer Duisburger Gesamtschule. Allerdings befindet sich der 28-Jährige bereits im dritten Master-Semester. Ihm fehlt noch ein Praxissemester, dann schreibt er die Masterarbeit und wird Referendar. Danach ist er voll ausgebildeter Lehrer.

15 Stunden pro Woche arbeitet er an der Gesamtschule. Seit dem letzten Schuljahr unterrichtet er dort Sport und Deutsch, seine beiden Studienfächer, und Englisch. Dank der guten Betreuung von Kolleginnen und Kollegen habe er gut in die Unterrichtsstruktur gefunden, berichtet er der NRZ.

Genau diese Betreuung sei absolut wichtig, meint Professor Gebken. Er lehne nicht grundsätzlich ab, dass Studierende unterrichten sollen. Aber sie brauchen Begleitung, um Unterricht vorzubereiten und zu gestalten, sie brauchen eine enge Betreuung und vor allem eine Reflexion, fordert Gebken. Zudem sollten sie sich schon in höheren Semestern befinden statt im ersten oder zweiten. Es könne nicht sein, dass Laien zu Sportlehrerinnen und -lehrern gemacht werden, die die Corona-Generation fit machen sollen, meint Gebken. Dabei bleibe die Unterrichtsqualität auf der Strecke, was die Bewegungssituation der Schülerinnen und Schüler nicht gerade verbessere.

Das sieht auch Jannik Winter so. Er könne diesen Schul-Job mit den nicht gerade wenigen Stunden auch nur machen, weil er seinen Studienplan bereits so gut erfüllt habe. Und die Corona-Pandemie verschaffte ihm durch das Ende des Präsenzunterrichtes die nötige Zeit. Abgesehen davon, dass er als Vertretungslehrer keine eigene Klasse übernehmen darf, ist er Lehrer mit allen Rechten und Pflichten. Das heißt: Er gibt Noten, nimmt an Fachsitzungen teil – und wird nach Tarifvertrag bezahlt.

98 Stellen für Vertretungslehrer ausgeschrieben

Derzeit sind über das Stellenportal für Vertretungslehrer „Verena“ 98 Stellen ausgeschrieben, die Sportlehrerinnen und -lehrer zur Vertretung suchen (Stand 1. August).

„Grundsätzlich werden in den Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen nur ausgebildete Lehrkräfte mit einem lehramtsbezogenen Universitätsabschluss und erfolgreich abgelegter Staatsprüfung zum Ende des Vorbereitungsdienstes dauerhaft eingestellt“, erklärt ein Sprecher des Schulministeriums auf NRZ-Anfrage. „Auf veröffentlichte Vertretungsbedarfe für Lehrkräfte können sich sowohl Personen mit Lehramtsbefähigung bewerben als auch andere qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber. Dies können zum Beispiel Hochschulabsolventinnen und -absolventen, Pensionärinnen und Pensionäre, Studierende oder Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung sein, wenn sie für den Schuldienst geeignet sind“, heißt es weiter.

Auf dem Stellenportal spricht eine Schule beispielsweise „Qualifizierte Bewerber*innen (z.B. Studierende) ohne Staatsexamen“ an. Andere Schulen weisen darauf hin, dass zunächst Bewerber mit erstem und zweitem Staatsexamen berücksichtigt werden, erst nachrangig Studierende.

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