Duisburg. Die Mercator-Matinéen widmen sich in diesem Jahr einem großen Thema: den Frauen. Im Interview Wilfried Schaus-Sahm, der Kurator.
Die Duisburger Mercator Matinéen in diesem Jahr widmen sich einem Thema: der Geschichte der Frauen. Es gibt Vorträge u.a. zu den literarischen Salons der frühen Neuzeit, zu den Pionierinnen der Emanzipationsbewegung und zur mutigen Frauenbewegung aktuell im Iran. Wilfried Schaus-Sahm hat unter der Überschrift „Die Hälfte des Himmels“ die Vortragsreihe kuratiert, wir haben ihn dazu befragt.
Die Hälfte des Himmels – was für eine schöne, poetische Formulierung…
Ja. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Frauen tragen die Hälfte des Himmels“. Es wurde unter Mao dann später eine Parole der Kulturrevolution. Der globale Kampf der Frauen für Gleichberechtigung ist trotz vieler Widerstände unaufhaltsam, auch wenn wir noch weit davon entfernt sind, Gleichheit erreicht zu haben. Nach all den Jahrhunderten beginnen aber auch die Männer zu begreifen, dass der Feminismus gut für sie ist – wie im Himmel, so auf Erden!
Eine Vortragsreihe, die sich mit, wie man so platt sagt, „der Stellung der Frau“ beschäftigt – eine Geschichte von Macht und Ohnmacht, Mut und kreativem Aufbegehr, Männerarroganz und weiblichem Kampf für die Geschlechtergerechtigkeit und gegen sexualisierte Gewalt. Wie kommt Mann (kleines Wortspiel, pardon) auf so eine Idee?
Ich bin im erzkatholischen Aachen aufgewachsen. Mein Vater war wie die meisten Männer seiner Generation ein Patriarch und z.B. entschieden dagegen, dass meine Mutter berufstätig werden konnte. Sie hat sich dem gebeugt und darunter zeitlebens gelitten. Als ich dann zum Studium nach Freiburg zog, verbrachte ich Jahre in Wohngemeinschaften mit selbstbewussten Frauen, die ihre Sexualität frei auslebten, gegen den § 218 kämpften, sich politisch engagierten. Diese Zeit hat mich maßgeblich geprägt. Barbara Sichtermann, die am 29. Oktober einen Vortrag bei den Matinéen halten wird, beschreibt in ihren Büchern diesen Aufbruch sehr packend.
Ehrlich, hat Ihnen vor der Konzeption dieser Vortragsreihe der Name Johanna Otho etwas gesagt?
Nein. Es ist das Verdienst von „Mercators Nachbarn“, einer Duisburger Geschichtsinitiative, die sich auf Spurensuche begeben hat. Die Duisburgerin Johanna Otho († um 1621) wäre sonst – wie so viele andere kluge und mutige Frauen – in Vergessenheit geblieben. Sie beherrschte die Sprachen der Wissenschaft, Latein, Griechisch und Hebräisch fließend. Sie schrieb und publizierte Gedichte und war in Duisburg Teil eines großen humanistischen Netzwerks.
Frauen im Zeitalter der Aufklärung
Es ist eines der bemerkenswerten Phänomene der Mercator-Zeit, also der Renaissance, dass Frauen entdecken, wie sie in einer Gesellschaft, die von Männern geprägt wird, Stellung beziehen können. Im Zeitalter der Aufklärung erlangten Frauen der Oberschicht weiteren Zugang zu Bildung und gelehrter Diskussion, aber brillante Denkerinnen blieben trotzdem im Schatten der Männer.
Immanuel Kants Werk z.B. ist durch die Gedanken der Physikerin und Philosophin Émilie du Châtelet geprägt. Bei der Eröffnungsveranstaltung der Mercator Matinéen am letzten Sonntag haben die Schauspielerin Angela Winkler und die Synchronsprecherin Cathérine Houssay Texte aus Werken herausragender französischer Autorinnen der Frühmoderne gelesen.
Vor 500 Jahren fand auch schon ein weiblicher Aufbruch statt – Frauen predigten, verfassten Flugschriften und agierten in politischen Ämtern...
Vor allem die Frauen der Reformationszeit waren „gelehrt, mutig und glaubensfest“, wie die Pastoralpsychologin und Supervisorin Sonja Domröse in ihrem Buch aufzeigt. Sie macht uns am 4. Juni mit Frauen wie Argula von Grumbach, Katharina Zell oder Caritas Pirckheimer bekannt. Aber dennoch. Wenn man von damals 500 Jahre nach vorne springt, stößt man z.B. auf die Ungeheuerlichkeit, dass erst 1957 in Deutschland der „Gehorsamkeitsparagraph“ abgeschafft wurde, der Ehefrauen nur Berufstätigkeit mit Zustimmung des Mannes erlaubte.
Und wie gehen die großen monotheistischen Religionen heute noch mit Frauenrechten um! Die katholische Kirche schließt Frauen von Ämtern aus. Tapfere Frauen im Iran und Afghanistan müssen unter Lebensgefahr um Selbstbestimmung und Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit kämpfen. Die bewundernswerte, mutige Seyran Ateş, die am 27. August zu uns kommt, hat nur knapp das Attentat eines Islamisten überlebt.
Podiumsdiskussion mit der #MeToo Bewegung
Wir leben im 21. Jahrhundert und in Europa sterben jedes Jahr mehrere tausend Frauen durch die Hand von Familienangehörigen, Lebensgefährten oder Ex-Partnern. Wir werden uns deshalb zum Abschluss der diesjährigen Vortragsreihe, am 26. November, in einer prominent besetzten Podiumsdiskussion mit der #MeToo Bewegung und dem Kampf gegen die sexualisierte Gewalt beschäftigen.
Inzwischen häufen sich Forschungsberichte über Äxte schwingende Wikingerinnen und frühzeitliche Jägerinnen. Selbst die Kunst der Höhlenmalerei müssen die Männer den Frauen überlassen - drei Viertel der steinzeitlichen Handabdrücke in den Höhlen Südfrankreichs und Spaniens stammen von Künstlerinnen. Kratzt das am männlichen Selbstwertgefühl?
An meinem jedenfalls nicht. Einige Vorstellungen über die prähistorischen Rollenverteilungen von Männern und Frauen sind nach heutigem Kenntnisstand schlichtweg überholt. Ich bin durch eine ZDF-Dokumentation (Terra X) auf das Thema gekommen und dabei auf die Archäologin Dr. Julia Katharina Koch gestoßen, die ihre faszinierenden Erkenntnisse einem sicherlich staunenden Publikum bei der Matinée am 5. Mai präsentieren wird.
Sie haben 2012 die Mercator Matineen ins Leben gerufen – eine Veranstaltungsreihe, die Jahr für Jahr hochkarätige Referentinnen und Referenten nach Duisburg holt – zu vielen Themen der Zeit. Was hat Sie da angetrieben – man kennt Sie ja eher als weltweit vernetzten Macher von besonderen musikalischen Reihen…
Nach dem Abschied vom Traumzeit-Festival, das ich 1996 gegründet und zwölf Jahre gestaltet hatte, habe ich fünf Jahre im Kultur- und Stadthistorischen Museum gearbeitet und wurde von der Museumsleiterin Frau Dr. Sommer mit Themen rund um Gerhard Mercator betraut. Dabei kam mir der Gedanke, Mercators wegweisende kartographische Leistungen im Kontext seiner Zeit einzuordnen, einer Zeit bahnbrechender Neuerungen auf den Gebieten der Wissenschaft, der Kunst und der Philosophie.
Es ging darum, den Blickwinkel zu weiten. Daraus wurde dann eine Veranstaltungsreihe, die inzwischen ein interessiertes Publikum aus Duisburg, den Duisburger Nachbarstädten und bei einigen Themen sogar aus den Niederlanden in das Kultur- und Stadthistorische Museum zieht.
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