Duisburg. Konstantia Gourzi ist so etwas wie eine Komponistin in Residence, sie kuratiert das Eigenzeit-Festival in Duisburg - zeitgenössische Kammermusik.
Dreizehn Konzerte, ein Perkussion-Workshop und ein Improvisation-Workshop und Vorträgen kluger Denkerinnen und Denker, „Musik von jetzt“ – das dritte Eigenzeit-Festival, schenkt Musikfans im Mai breitere zeitgenössischer Kammermusik. Konstantia Gourzi kuratiert das Festival, unter anderem…
Frau Gourzi, Sie sind Komponistin, Dirigentin, Professorin an der Hochschule für Musik und Theater München – und in diesem Jahr kuratieren Sie das Eigenzeit-Festival der Duisburger Philharmoniker, das sich ganz der zeitgenössischen Musik widmet. Ein strammes Programm…
Es ehrt mich und freut mich, in einer Stadt wie Duisburg musikalische Angebote gestalten zu dürfen. Ich glaube, dass man heute in jeder Stadt etwas anderes als das gewöhnliche oder erwartete Programm und Repertoire aufführen kann – und aufführen sollte.
Ich erlebe das Publikum in Duisburg als offen, aufgeschlossen und neugierig. Das war für mich die beste Voraussetzung, um so ein intensives und vielseitiges Programm mit dem Intendanten der Duisburger Philharmoniker, Nils Szczepanski, und der Unterstützung seines Teams zu gestalten. Das Programm bietet Traditionelles und Modernes, zu erleben sind etablierte und Nachwuchs-Musiker und Komponisten. Ganz besonders freue ich mich auf die sechs Uraufführungen. Das sind neue Stücke aus Chile, Deutschland, Mexiko, Venezuela komponiert für Eigenzeit 23 und auch von mir werden drei neue Stücke erklingen.
Das Eigenzeit-Festival feiert seinen dritten Geburtstag. Hat junge, hat Musik von Heute es schwer, sich neben den Klassikern zu behaupten?
Um es gleich direkt zu beantworten: Ja, zeitgenössische Musik hat es noch immer schwer, aufgeführt zu werden und vor allem, ganz selbstverständlich zum Repertoire zu gehören. Allein der Begriff – und so auch in Ihrer Frage – zeigen doch, dass es immer noch um eine Einordnung geht, um eine Sonderstellung, die wir gewohnt sind, abzugrenzen vom sonstigen Repertoire.
Mozart, Schubert, Beethoven….
Ich empfinde die Musik ohne Grenzen und ohne „Stempel“, deshalb die Frage: Stellen Sie sich vor, jemand hätte im Wien des 18. oder 19. Jahrhunderts Konzerte mit Werken von Mozart, Schubert, Haydn oder Beethoven als „Konzert mit zeitgenössischer Musik“ angekündigt oder „beworben“. Unvorstellbar – oder? Denn damals war Musik ganz unmittelbar die frisch geschaffene Musik und eher war die nicht-zeitgenössische Musik, also beispielsweise Renaissance-Musik, in den Konzert-Programmen das Seltenere.
Komponist, Dirigent und Publikum standen sich im Barock und in der klassischen Zeit sehr nah. Diese Beziehung ist nach und nach auseinander gegangen: Die Dirigenten, die im Wesentlichen das gleiche Repertoire dirigieren, sind sehr zahlreich geworden und der Kontakt, der unmittelbare Austausch zu den zeitgenössischen Komponisten ist, vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, immer geringer geworden. Der Komponist ist ein Mensch von heute – genau wie der Maler, der Schriftsteller – und als solcher ist er doch derjenige, der dem Zuhörer in all seinen Prägungen am nächsten steht – so jedenfalls sollte zeitgenössische Kunst auch heute aufgefasst werden, so war sie in den letzten 150 Jahren immer wirksam.
Verständigungsbrücken bauen
Das Publikum liebt andererseits das Bekannte und das Wiederholte, das schon Gehörte und Besprochene in durchaus verschiedenen Interpretationen. Ich finde, dass es sehr spannend ist Verständigungs-Brücken zu bauen und das heutige Geschehen auch durch Musik zu vermitteln. Wir kommen damit näher zueinander, wir entwickeln mehr Verständnis, Respekt und Akzeptanz. Es gibt damit auch mehr Stoff zu Dialog.
Die Musik verlässt den Konzertsaal und geht an besondere Orte in der Stadt – das ist für Musikerinnen und Musiker eine Herausforderung, oder?
Immer mehr Musiker sind heute in dem Sinne „Abenteuer-Süchtige“: andere Aufführungsorte zu erproben und dadurch auch sich selbst, ihr Spiel und ihre Wirkung auf die Zuhörer neu kennenzulernen. Auch hier gibt uns die Sprache einen klaren Hinweis: diese heute so massenhaft gebrauchte Wort „Herausforderung“ passt in Ihrer Frage ganz genau und beschreibt das, was ich zuvor erwähnt hatte, nämlich aus dem Gewohnten herauszutreten, sich auf das einzulassen, was andere uns über das Heute zu „sagen“ haben – und es erst einmal seine Wirkung entfalten zu lassen, ohne fertige Einschätzung und Urteil. Diese Herangehensweise hat mit Kreativität und Fantasie zu tun, also damit, was die im Kern das Schaffen jedes Künstlers beflügelt. Und darüber hinaus die Musik mit den anderen Künsten zusammenzubringen und mit Raum, Farbe, Bildern, Skulptur und sogar Alltagsgeräuschen zu überlagern, zu verbinden öffnet neue Wege für die jüngere Generation und für das Publikum insgesamt. Ich finde das äußerst notwendig und aktuell gerade im Jahr 2023.
Das Festival ist auch ein Zukunftslabor – kann man mit Konzerten im Konzertsaal die Menschen nicht mehr erreichen?
Der Konzertsaal ist ein Ort mit großer Tradition, der notwendig und bereichernd ist und das bleibt auch so. Musikveranstaltungen woanders als im konventionellen Konzertsaal aufzuführen, erweckt Neugier, Möglichkeiten, neue Wege, Erweiterung des Bewusstseins. Ich finde, dass Konzerte auf hohem Niveau an viel mehr Orten als nur in einem „klassischen“ Konzertsaal stattfinden sollten.
Neue Kontaktwege zum Publikum
Es gibt für Musiker und für die Musik insgesamt viel mehr Möglichkeiten, als der Konzertsaal anbietet. Es ist Zeit, dass wir als Musiker neue Kontaktwege zum Publikum aufwecken und etablieren. Wir wollen und sollten deshalb nicht das Bestehende abschaffen oder reduzieren, sondern etwas Neues hinzuzufügen, um zu zeigen, dass es auf anderen Wegen ebenso anspruchsvolle Kunst zu erleben gibt. Durch die Erweiterung, die Öffnung in viele Dimensionen, haben wir auch sicher die Möglichkeit, unter anderem junge Menschen als Zuhörer zu erreichen, die neugierig sind neu sich inspirieren zu lassen.
Wann haben Sie noch Zeit zum Komponieren?
Es ist eine dauerhafte Herausforderung, mich immer wieder einerseits mit Hingabe und auch mit Zweifeln erneut kennenzulernen. Ich habe das Gefühl, die Überzeugung und die Hoffnung, dass Kunst die einzige „Rettung“ in unseren Zeiten sein kann; noch mehr als bis vor drei, vier Jahren. Das Vermitteln und das Kommunizieren durch geistigen Austausch ist das, was mir Kraft gibt, um immer wieder die Zeit auszupressen, um alles zu schaffen, was ich mir vornehme. Es bleibt aber trotzdem immer ein enormer Wettlauf und es gelingt, wenn die Rahmenbedingungen förderlich sind.
Und dann lassen Sie zum Finale die Engel schweben…
Ich danke Ihnen, dass Sie es gemerkt haben! Engel sind überall, wo wir leben, schauen, hören. Die letzte Komposition des Festivals heißt Anájikon, the Angel in the Blue Garden; es ist mein 3. Streichquartett und wird von Minguet Quartett gespielt, für die ich das Stück komponiert habe.
Seit 2015 habe ich angefangen, eine Engelkompositionsreihe zu schreiben. Stücke in verschiedenen Besetzungen inspiriert hauptsächlich von den Engelskulpturen meines Freundes, des Berliner Bildhauers und Bühnenbildners, Alexander Polzin. Musik und bildende Kunst zu verbinden, ist etwas, das mich genauso inspiriert, wie die Natur. Diese letzte Komposition des Festivals ist gleichzeitig ein Adieu von Eigenzeit 2023 und ein Dankeschön an die Duisburger Philharmoniker, ihrem Team und dem großartigen Publikum von Duisburg und Umgebung. Ein Adieu mit dem Wunsch auf Frieden, Hoffnung, Glauben, Versöhnung und Wiedersehen. Engel gibt es überall, wir sollen unsere Sinne erwecken, sie zu erkennen und mit ihnen zu leben, ihr Wirken wahrzunehmen und aus diesem Bewusstsein Kraft und Freude zu schöpfen.
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