Kreis Wesel. Mitgliederschwund, Fachkräftemangel und die Pflegefinanzierung: Die Awo muss einige Probleme lösen. Der Vorstand ist aber zuversichtlich.
Wie alle Sozialverbände hat auch der Kreisverband Wesel der Arbeiterwohlfahrt (Awo) kein einfaches Jahr hinter sich. Und zumindest zwei weitere schwierige Jahre werde man noch überstehen müssen, sagte Awo-Vorstandsvorsitzender Jochen Gottke auf der Kreiskonferenz in Neukirchen-Vluyn. Mitgliederschwund, Fachkräftemangel und Herausforderungen wie Digitalisierung und Klimaneutralität stellten Gottke und Awo-Kreisverbandspräsident Ibrahim Yetim für die Mitglieder und 1370 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kreis Wesel als Hauptthemen für die kommenden Jahre heraus. Hinzu kommt die Aufnahme und Integration Geflüchteter.
Landrat Ingo Brohl hatte die Awo zu Beginn der Konferenz eine „starke und kritische Stimme“ sowie „einen maßgebenden Faktor für eine gerechte Gesellschaft“ genannt. Ein Lob, das auch als Selbstverpflichtung dienen könnte. Die aber immer schwieriger umzusetzen ist, weil die Stimmen vor Ort fehlen. Stichwort: Demografie.
Einige Ortsverbände habe man bereits umstrukturieren müssen, weil teilweise die Mitglieder fehlten, sagte Ibrahim Yetim. Zuvor hatte er um eine Gedenkminute für 200 Mitglieder gebeten, die in den vergangenen vier Jahren verstorben waren. Die demografische Entwicklung, so Yetim, sei ein Problem.
Awo im Kreis Wesel: Warum manche Fachkräfte abwandern
Um neue Mitglieder zu gewinnen, möchte die Awo ihre sechs Stützpunkte im Kreis zu sogenannten Awo-Treffs entwickeln, um sie besser in der öffentlichen Wahrnehmung zu platzieren. Sie sollen etwas offener gestaltet sein und so neue Impulse schaffen und neue Mitglieder locken, sagte Yetim, der die hohe Einsatzbereitschaft der Awo-Mitglieder und -Beschäftigten im Kreis lobte. „Ihr lebt und liebt die Awo.“
Dass die Liebe Grenzen hat, lässt sich vor allem am Fachkräftemangel festmachen, wie Jochen Gottke verdeutlichte. Zwar sei man mittlerweile einer der größten Ausbilder im Kreis Wesel, sagte der Vorstandsvorsitzende. Rund 90 Azubis werden demnach bei der Awo ausgebildet. Bis zu 60 davon streben die generalistische Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung an, die restlichen Plätze dienen zur Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern.
Das Problem: „Leider bleiben nicht alle Azubis nach der Ausbildung“, so Gottke, der von einem ziemlich harten Wettbewerb auf dem Personalmarkt für Pflegekräfte sprach. Manche Arbeitgeber im Kreis Wesel, zum Beispiel Krankenhaus-Gesellschaften, sagte der Awo-Vorstandsvorsitzende, lockten mit vierstelligen Wechselprämien. Dieser führe dazu, dass mehr als die Hälfte der Azubis die Awo wieder verließen. „Wir können da nicht mithalten.“
Die generelle finanzielle Situation ist laut Jochen Gottke ebenfalls ein Thema. Das Finanzierungsloch im Pflegesystem habe nicht dazu geführt, dass „der Kuchen vergrößert, sondern nur die Stücke kleiner gemacht wurden“. Damit seien aus „Cashcows“, also hochprofitablen Pflegeeinrichtungen, defizitäre Institutionen geworden.
Insgesamt sprach Gottke von einer „Talsohle“, die man 2023 und 2024 durchschreiten müsse. „Aber das schaffen wir auch“, so der Vorstandsvorsitzende zuversichtlich.
>>> Neuwahlen und neues Leitbild<<<
Bei der Kreiskonferenz standen auch Neuwahlen an. Ibrahim Yetim bleibt Awo-Präsident. Ihm stehen Willi Brechling aus Dinslaken und Marion Fritsch aus Neukirchen-Vluyn als Vize zur Seite. Beisitzende sind Karin Böhm (Neukirchen-Vluyn), Günter Rehn (Moers-Rheinkamp), Jürgen Neervort (Kamp-Lintfort) und Sonja Gildemeister (Moers-Kapellen).
Die Mitglieder verabschiedeten auch ein modernisiertes Leitbild. Die selbst auferlegte Werterichtlinie wurde um die Themen Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Mitgliedschaftsfragen erweitert.
Ein großer Baustein in der Awo-Arbeit ist auch das Engagement für Geflüchtete, derzeit vor allem aus der Ukraine. Im vergangenen Jahr wurde in Moers eigens das Beratungszentrum Ukraine eröffnet, das geflüchteten Menschen fünf Beratungsangebote unter einem Dach bietet.
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