Damit kein Unterricht ausfallen muss, stellen auch Oberhausener Schulen Vertretungslehrer ein, die ihr Studium noch nicht beendet haben.
Foto: Ingo Otto / FUNKE Foto Services
Oberhausen. Lehrerinnen und Lehrer sind rar. Deshalb stehen in den Klassenzimmern immer öfter Seiteneinsteiger, Pensionäre – und Studenten. Ist das klug?
Großer Bedarf, viel zu wenige Bewerberinnen und Bewerber: Der inzwischen als chronisch zu bezeichnende Lehrermangel ist auch an den Oberhausener Schulen allgegenwärtig, und das über alle Schulformen hinweg. Immer häufiger wird deshalb auch auf Lehramtsstudenten zurückgegriffen. Die dürfen zwar nicht alles, stopfen jedoch so manches Loch im Stundenplan und sorgen dafür, dass weniger Unterricht oder Stunden im Offenen Ganztag ausfallen müssen. Diese Praxis sorgt jedoch auch für Kritik.
Das NRW-Schulministerium macht in seinem Online-Bildungsportal (www.lehrer-werden.nrw) mächtig Werbung für den Lehrerberuf. Insbesondere an Grundschulen, Berufskollegs, in der Sekundarstufe I und an sonderpädagogischen Förderschulen seien die Chancen auf Einstellung „sehr gut“ bis „hervorragend“. Neben Infos für junge Menschen, die gerade die Schule beendet haben und überlegen, was sie machen wollen, finden sich zahlreiche bunte Felder, in denen erklärt wird, wie Hochschulabsolventen, die Sport, Kunst oder Informatik studiert haben, nachträglich zur Lehrerin/zum Lehrer ausgebildet werden können („Seiteneinsteiger“), wie Pensionäre zurückkehren können und wie man – „mit oder ohne Hochschulabschluss“ – Vertretungslehrer wird.
Studenten in den Klassenzimmern: „Ich würde mich nicht vom Azubi fliegen lassen“
Sie gehe davon aus, sagt Simone-Tatjana Stehr, dass es an den Oberhausener Schulen viele Seiteneinsteiger gibt und auch viele Vertretungsverträge geschlossen werden mit Lehramt-Studierenden. „Ich finde es tragisch“, sagt die Leiterin des Oberhausener Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung, „dass wir in diesem Beruf viel flexibler damit umgehen als in anderen Berufen. Ich würde mich ja auch nicht von einem Medizinstudenten operieren oder von einem Auszubildenden fliegen lassen.“ Bei Lehrern seien da alle viel entspannter, bemängelt sie – „unberechtigterweise“.
Man habe in der Vergangenheit nicht gut genug auf die demografische Entwicklung geschaut, sagt Stehr. Und jetzt, wo das Problem groß ist, da nehme man eben „einen unprofessionellen Verband statt die Wunde klaffen zu lassen“. Dabei sei die hiesige Lehrerausbildung gut, „ein absolutes Pfund“. Das hohe Niveau dürfe nicht unterschritten werden.
Bei der für Lehrereinstellungen zuständigen Bezirksregierung in Düsseldorf erfahren wir auf Nachfrage: „Die Möglichkeit, dass Personen, die sich im Lehramtsstudium befinden, als Vertretungslehrkräfte in allen Schulformen eingesetzt werden, besteht grundsätzlich schon immer. Es wird jedoch in Zeiten des Lehrermangels vermehrt davon Gebrauch gemacht.“ Dies bestätigt auch Sandra Niedrich, stellvertretende Schulleiterin des Heinrich-Heine-Gymnasiums. „Das machen Schulen, wenn sie mit dem Rücken an der Wand stehen.“ Manchmal seien Studierende die Einzigen, die sich auf offene Stellen bewerben würden. „Natürlich bevorzugen wir die mit Qualifikationen“, sagt Niedrich, aber: „Ich kann mir keinen examinierten Lehrer basteln.“
Lehrkräfte ohne pädagogische Qualifikation: Nicht überall willkommen
Zeitlich befristete Vertretungen für erkrankte Lehrer oder Lehrerinnen in Mutterschutz und Elternzeit dürfen zwar neben Lehramtsstudenten auch Absolventen völlig anderer Studiengänge, Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und nebenberuflich Tätige übernehmen, eingesetzt werden können sie jedoch nicht überall. „Sie sollen lediglich dort eingesetzt werden, wo dies pädagogisch vertretbar ist. Ausgeschlossen ist somit zum Beispiel der Einsatz in der Oberstufe“, heißt es von der Bezirksregierung. So wird es nicht nur am Heinrich-Heine-Gymnasium gehandhabt, wo die stellvertretende Schulleiterin Sandra Niedrich erst gar keine Lehrkraft ohne pädagogische Zusatzausbildung einstellt und auch nicht in bestimmten Altersklassen wie im sechsten Jahrgang (Erprobungsphase) unterrichten lässt.
Auch am Elsa-Brändström-Gymnasium ist der Einsatz von Studierenden als Vertretungslehrer gängige Praxis. „Das hatten wir schon immer“, sagt die stellvertretende Schulleiterin Carolin Berenwinkel. Sie bringt ein positives Argument in die Debatte ein: „Für die Studierenden ist dies doppelt wertvoll. Sie können Erfahrungen sammeln und Geld verdienen.“ Aktuell würde ein Student das Kollegium verstärken, mit ihm sei sie „sehr, sehr zufrieden“. Mit der Hilfe von erfahreneren Lehrerinnen und Lehrern und eingebunden in die Fachschaften würde es gut klappen mit dem Unterrichten und Notengeben. Die allermeisten Vertretungslehrer jedoch, sagt Carolin Berenwinkel, seien „fertige“ Kolleginnen und Kollegen mit erstem und zweitem Staatsexamen.
An den Grundschulen wurden und werden ebenfalls Erfahrungen mit studentischen Lehrern gesammelt, „zum größten Teil sehr gute“ beispielsweise an der Steinbrinkschule. Schulleiterin Susanne Amrehn spricht von „sehr, sehr engagierten Lehrkräften“, die engmaschig durchs Kollegium begleitet würden. Unvergessen sei die große Unterstützung durch die jungen Kollegen in der Corona-Pandemie, als zeitgleich per Video unterrichtet wurde und Kinder in der Schule betreut werden mussten. Amrehn betrachtet das Thema differenziert: Einerseits scheint es auch für sie befremdlich zu sein, die Kinder „unfertigen“ Lehrerinnen und Lehrern zu überlassen. Dennoch müsse man sich genau anschauen, wie weit die Studentin oder der Student in seinem Studium schon ist und „wie es um die persönliche Befähigung steht“. Man müsse darauf achten, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen weitergebildet werden, dass sie professionell von den anderen unterstützt werden. Und dann habe man ja auch noch Einfluss darauf, wo man wen einsetzt.
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