Historisches

Zugverkehr in Wesel - als Diersfordt einen „Bahnhof“ hatte

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Ausflügler und Pendler nutzten den Haltepunkt – das Bild stammt aus dem Jahr 1954.

Ausflügler und Pendler nutzten den Haltepunkt – das Bild stammt aus dem Jahr 1954.

Foto: pr

Wesel.   Heimathistoriker Bernd von Blomberg hat die Geschichte des Haltepunktes und zahlreiche Querelen bis zu seiner Entstehung niedergeschrieben.

Was machte einen Bahnhof zum Bahnhof? Eine Weiche. Und weil Diersfordt keine hatte, war der „Bahnhof“, den es immerhin 83 Jahre lang gegenüber gegenüber von Mutter Busch gab, bloß ein Haltepunkt. Dem Volksmund waren diese Feinheiten egal, es war ein Bahnhof. Einer, an den sich viele noch erinnern werden. Heimathistoriker Bernd von Blomberg hat seine Geschichte aufgeschrieben, jüngst vorgetragen und nun unserer Zeitung zur Verfügung gestellt.

1839 wird die Eisenbahn-Verbindung Köln-Aachen-Antwerpen eingeweiht, 1843 die Strecke Köln Minden. Und die Niederländer hätten gern eine Strecke Amsterdam-Köln. Alle wollen nun die Bahnanbindung – Wesel, Rees und Emmerich versuchen, Einfluss zu nehmen. Wesel schlägt die Linie über Anholt nach Arnheim vor, Emmerich fühlt sich ausgegrenzt, immerhin habe man das Hauptzollamt.

Auch Elten und Rees protestieren. Am 29. Januar 1854 bereitet König Friedrich Wilhelm IV. dem Gezänk ein Ende. Er legt aus militärischen Gründen die Trasse von Oberhausen über Sterkrade, Dinslaken und Empel nach Emmerich fest. Es geht um den Güterverkehr aus den holländischen Häfen ins Ruhrgebiet.

In Wesel entscheidet das Militär, der Bahnhof darf nur aus Holz sein. Mehrhoog soll eigentlich nur einen Haltepunkt bekommen, doch der Gemeinderat hilft mit 1000 Talern ein wenig nach, so dass es doch ein Bahnhof werden kann. Am 18. Oktober 1856 wird die Gesamtstrecke Oberhausen-Emmerich mit Anschluss nach Arnheim eingeweiht.

Ein Oberförster kämpft und sammelt Spenden

Und Diersfordt? Nach dem Tod des Grafen Max zu Stolberg-Wernigerode 1887 leitet Oberförster Kiel die Geschicke der Herrschaft Diersfordt für den fünfjährigen Grafen Friedrich. Er und Anwohner haben die Idee zu einem Bahnhof für Diersfordt, es soll ein richtiger werden. Mit Weiche und Nebengleis, einer Ladestation für Grubenholz in Richtung Ruhrgebiet.

Die fürstliche Kammer in Wernigerode und Oberförster Kiel sind sich einig, dass der Haltepunkt Diersfordt heißen soll, nicht etwa Hamminkeln. Auch darum gibt es einigen Zank. Die Gegend gehört zum Amt Ringenberg, Amtsbürgermeister Otto Arnzten setzt sich ebenfalls für den Bahnhof ein.

Familie Busch, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite ihre Gastronomie hatte, hätte gern den Fahrkartenverkauf in die Gaststätte verlegt, das lehnt die Königliche Eisenbahn-Direction ab. Am Ende geht es, wie immer, um die Kosten, die sind mit zunächst 4700 Mark für damalige Zeiten enorm.

3569 können Kiel und die Unterstützer sammeln – sogar der Diersfordter Pfarrer gibt 100 Mark. Die Bahndirektion schraubt die Rechnung auf dann 5800 Mark hoch. Obwohl das Geld fehlt, schließen die Königliche Eisenbahn-Direction und die Gemeinde Diersfordt am 30. Januar 1899 einen Vertrag. Zusammengefasst steht darin: Die Gemeinde Diersfordt zahlt, hat aber kein Recht darauf, dass der Haltepunkt dauerhaft bleibt oder auf eine Rückerstattung, falls das nicht so ist.

Im Anschluss will die Bahn noch 100 Mark mehr und der gute Oberförster Kiel, der heimische Unternehmen beauftragen wollte, hat die Nase voll. Er schreibt der Bahn, sie soll gefälligst selbst bauen und glaubt, das sei das Ende des Bahnhofsprojekts. Trotzdem wird am 1. Oktober 1899 die Haltestelle eröffnet. Wer den Differenzbetrag gab, ist unklar.

Ausflugsziel Diersfordt, schmausen bei Mutter Busch

Er wird ein Erfolg, der „Bahnhof“ – Gäste kommen, schmausen Kaffee und Kuchen bei Mutter Busch, wandern zum Schloss und machen Pause am Jäger oder der Constanze. Im Ersten Weltkrieg spielt Diersfordt eine Rolle als Haltepunkt für die Militär-Lokalzüge, mehr als 100.000 junge Männer werden an der Zitadelle versammelt und in den Krieg geschickt.

Ende des Zweiten Weltkrieges baut die Reichsbahn das Gleis zwischen Wesel und Emmerich ab, um es notfalls woanders verwenden zu können, der Bahnverkehr wird eingleisig geführt. Eine Bombe trifft den Bahnkörper, eine weitere einen Pavillon der Gaststätte.

Englische Soldaten bauen nach dem Krieg das zerstörte Gleis wieder zusammen, die Alliierten brauchen die Linie für den Nachschub. Nach einigen Jahren, in denen viele Städter zu Hamsterfahrten kamen, gibt es auch wieder Ausflügler. Von Blomberg zitiert Wilhelm Berning, der 1960 dort Dienst hatte: Er habe an einem Sonntag 300 Fahrkarten verkauft.

Ende der 60er Jahre geht der Fremdenverkehr zurück, zudem halten weniger Züge in Diersfordt. Dennoch radeln nach wie vor viele aus der Umgebung zum Bahnhof, um per Zug zur Arbeit im Ruhrgebiet zu fahren. „Der letzte Taschenfahrplan ‘Ruhrgebiet’ mit den Zügen, die in Diersfordt halten, stammt vom Winter 1981/82“, so von Blomberg.


>>> ZUR PERSON:

Bernd von Blomberg (84) ist begeisterter Geschichtsfreund. Immer wieder erforscht er Heimatgeschichte. Zudem ist er aktiv im Heimatverein der Herrlichkeit Diersfordt.

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