Ein Stolperstein erinnert jetzt in Saarn an Anna Lehnkering, die mit 25 Jahren als Lernbehinderte ein Opfer der Euthanasie wurde. Die Familienangehörigen waren dabei, als der Künstler Gunter Demnig das Denkmal in den Asphalt einließ.
Sigrid Falkenstein und ihr Vater Fritz Lehnkering schauen dem Künstler Gunter Demnig zu, als er an der Düsseldorfer Straße 38, den Stolperstein für ihre Tante und Schwester Anna Lehnkering in das Pflaster des Gehwegs mauert.
„Das ist für mich ein sehr bewegender Tag. Und wie es in meinem Vater aussieht, kann ich nur erahnen”, sagt Anna Lehnkerings Nichte, die 2003 eher zufällig bei Internetrecherchen auf den Namen ihrer Tante stieß. „Das war für mich ein Schock. Ich wusste zwar, dass ich eine Tante hatte, die früh gestorben war. Doch das sie eines von 300 000 Euthanasie-Opfer der Nazis war, habe ich damals zum ersten Mal erfahren”, erinnert sie sich.
Warum wurde in der Familie nie über das Schicksal der Tante gesprochen? „In den Zeiten nach dem Krieg waren meine Eltern und Großeltern wohl zu sehr mit der Existenzsicherung beschäftigt”, mutmaßt Falkenstein, die 1946 in Saarn geboren wurde und dort aufwuchs, aber seit 40 Jahren in Berlin lebt.
Ihr in Speldorf wohnender Vater Fritz erinnert sich an seine fünf Jahre ältere und behinderte Schwester Anna als „einen sehr freundlichen, verständnisvollen und umgänglichen Menschen.” Während seine 1915 in Oberhausen geborene und ab 1934 in Saarn lebende Schwester Anna 1940 in der Vernichtungsanstalt Grafeneck ermordet wurde, war Fritz als Soldat in Russland. Von Grafeneck, so sagt er, habe er erstmals durch die Recherechen seiner Tochter gehört. „Ich bin anfangs gegen eine Mauer des Schweigens gelaufen. Doch ich bin hart geblieben”, erinnert sich Sigrid Falkenstein an den Beginn ihrer schwierigen Geschichtsaufarbeitung in Bedburg-Hau und Grafeneck. „Doch jetzt tut sich was im Bewusstsein der Menschen und ich habe einen Beitrag dazu geleistet”, sagt Falkenstein mit Blick auf die Aufklärung der Medizin- und Euthanasieverbrechen im Dritten Reich.
Ausdrücklich bedankte sich Anna Lehnkerings Nichte nicht nur beim Urheber der Stolpersteinaktion, Gunter Demnig und der Mülheimer Stifterin ihres Stolpersteines, die ungenannt bleiben möchte, sondern auch bei den 16-jährigen Schülern Jan-Niklas Haag und Christopher Somplatzki. Denn die beiden 16-jährigen Schüler der Realschule Mellinghofer Straße wollen sich als Mitglieder der Schul-Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine künftig um die Wartung und den Erhalt des Stolpersteines kümmern, „damit Anna Lehnkering nicht vergessen wird.”
Für den 61-jährigen Gunter Demnig war es übrigens der 19 000. Stolperstein, den er seit 1997 in 432 deutschen Städten verlegt hat. „Mein Auto ist inzwischen mein zweites Zuhause”, beschreibt er sein rastloses Leben im Dienste der Erinnerung an die Opfer der NS-Diktatur und macht keinen Hehl daraus, dass er noch lange weitermachen will. „Pablo Picasso”, so sagt er, „hat ja auch noch mit über 90 Jahren gemalt.”
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